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4. Die Wörterbücher Adelungs

Johann Christoph Adelung, dem der Leipziger Verleger Breitkopf die von Gottsched hinterlassenen Vorarbeiten zu einem "deutschen grammatischen Wörterbuch" in der Hoffnung überreicht hat, er möge den Plan vollenden, erarbeitet ein neues, eigenständiges Wörterbuchkonzept und folgt in der Übernahme des Projektes "einer alten Lieblingsneigung" 1. 1774-1786 erscheint in Leipzig bei Breitkopf der "Versuch eines grammatisch-kritischen Wörterbuches der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen" in fünf Bänden. Unter dem leicht modifi­zierten Titel "Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart[...]" publiziert Adelung die 2.Auflage "vermehrt" und "verbessert" von 1793 bis 1801 in nur noch vier Bänden.

Bevor ich mich dem Titel und einzelnen Fragen der lexikographischen Praxis zuwende, stelle ich Johann Christoph Adelung selbst vor.

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4.1. Johann Christoph Adelung - eine kurze Biographie 2

Johann Christoph Adelung, geboren am 8. August 1732 in Spantekow bei Anklam - sein Vater Johann Paul Adelung war dort als Pfarrer tätig -, studierte nach dem Besuch der Schule in Anklam und Klosterbergen bei Magdeburg in Halle Theologie (1752-1757/58). Nach der Beendigung des Studiums lehrte Adelung am Ratsgymnasium in Erfurt. Aufgrund seines geringes Gehaltes versuchte er mit Hil­fe von teilweise inhaltlich überarbeiteten Übersetzun­gen und der Herausgabe einer Zeitschrift sein Einkommen zu erhöhen. Spätestens 1765 siedelte er nach Leipzig über, wo er u.a. für den Verleger Breitkopf Übersetzun­gen und Korrekturen anfertigte, wo er seit 1769 die "Leipziger Zeitungen" redigierte sowie die erste Aufla­ge seines Wörterbuches und weitere sprachwissenschaft­liche und historische Schriften veröffentlichte. Adelungs wissenschaftliche Tätigkeit erfuhr allgemeine Anerkennung; er wurde in die "Deutsche Ge­sellschaft" aufgenommen und 1787 als Oberbibliothekar an die Kurfürstliche Bibliothek in Dresden berufen. Seine dortige Beschäftigung ließ ihm genügend Zeit, weiterhin seinen wissenschaftlichen Neigungen nachzu­kommen, u.a. die 2. Auflage seines Wörterbuches

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anzufertigen. Am 10.September 1806 verstarb Johann Christoph Adelung in Dresden.

4.2. Einleitende Worte zum Titel

Grammatik kodifiziert Adelung in seinem Wörterbuch als die "Kunst, eine Sprache richtig zu reden und zu schreiben" 3, und zwar unter Befolgung der Sprach­regeln. Jene sind

"allgemeine Vorschriften, nach welchen die Wörter einer Sprache gebildet, gesprochen..gebeuget, verbunden und geschrieben werden." 4

Bezüglich des Adjektivs "kritisch" bemerkt Adelung:

"Zu der kritischen Behandlung der Wörter rechne ich vornehmlich den bestimmten Begriff eines Wortes und seiner verschiedenen Bedeutungen." 5

Neben die Normierung der Grammatik tritt bei Adelung erstmals in der Historie der deutschen Lexikographie die inhaltliche Bestimmung des sprachlichen Zeichens. Die Methode, die angewendet wird, basiert auf der genauen Textanalyse der (alten) Schriften und auf der

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Anwendung der daraus abgeleiteten Gesetze bzw. Re­geln. 6

Besonderes Aufsehen hat Adelung mit seiner Beschränkung auf die "Hochdeutsche Mundart" erregt. In der Vorrede zu seiner Grammatik, dem "Umständlichen Lehrgebäude der Deutschen Sprache", faßt er seine Theorie in sechs Punkten zusammen, deren ausführliche Interpretation in dem Aufsatz "Das Problem des Meissnischen Deutsch oder 'Was ist Hochdeutsch· im 18. Jahrhundert" von Helmut Henne 7 nachgelesen werden kann. Zusammenfassend lässt sich konstatieren, daß Adelung eine geographische Ein­schränkung auf die "südlichen chursächsischen Provinzen" vorgenommen und sich dabei - gleichsam als eine soziologische Einschränkung - an dem Sprachgebrauch der oberen Gesellschaftsschicht orientiert hat. Hinzu ge­sellt sich eine zeitliche Fixierung auf die Jahre 1740 bis 1760, die auf den Einfluß, den Adelung den ober­sächsischen Schriftstellern der sog. klassischen Peri­ode (Gellert, Dusch, Ramler) beimißt, zurückzuführen ist.

Die grobe Interpretation des Titels untermauert die hier nicht näher erläuterte These, daß Adelung mit der lexikographischen Tradition bricht; er orientiert sich weder an der Konzeption der Berliner Societät, noch an

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den Plänen Gottscheds zu einem allgemeinen deutschen Wörterbuch. 8

 

4.3. Zur Stichwortauswahl

Die geographische, soziologische und zeitliche Fixie­rung, wie sie sich aus der Theorie der hochdeutschen Mundart ergibt, findet ihren Niederschlag in der Stichwortauswahl:

"Es fielen also alle veraltete, alle provinziel­le, und alle niedrige, bloß dem Volke eigene Wörter.und Ausdrücke der Regel nach von selbst weg." 9

Die veralteten Wörter, insbesondere die aus Luthers Bibel entnommenen, die provinziellen, insbesondere, wenn sie von den "sonst guten Schriftstellern" verwen­det werden, sowie die niedrigen Wörter, sofern sie die "komische Schreibart" gebraucht 10, gelten als Ausnah­men, die in der 2. Auflage und im Auszug mit einem * für die veralteten und mit einem + für die niedrigen Wörter versehen werden. 11 Diese ikonographischen Zeichen können sich vor einem Lemma oder einer Teilbedeutung befinden und unterstreichen - partiell - das von

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Adelung konstitutierte Klassifikationsschema der stilistischen Markierungen, der "Würde der Wörter":

"1. die höhere oder erhabene Schreibart; 2. die edle; 3. die Sprechart des gemeinen Lebens und vertraulichen Umgangesi.4. die niedrige und 5. die ganz pöbelhafte." 12

Die letztgenannte Klasse schließt Adelung vollkommen aus. Komposita hat Adelung nur dann aufgenommen, wenn Grund- und Bestimmungswort einen neuen Begriff bil­den. 13 Das folgende Beispiel möge diesen Aspekt auch unkommentiert verdeutlichen.

"Das Frauengut, [...] in den Rechten Güter, welche dem weiblichen Geschlechte gehören, dergleichen der Brautschatz, die Spindelgelder, Paraphernalien u.s.f. sind." 14

Im Hinblick auf die "Oeconomisch-technologische Ency-klopädie" besteht die Notwendigkeit auf das Fremdwort und das "Kunstwort" einzugehen.

Ist Adelung in der ersten Auflage noch bestrebt gewe­sen, alle "ausländischen Wörter, die nicht das deutsche Bürgerrecht erhalten hatten" 15, auszuschließen, so dokumentiert die 2. Auflage die Einsicht, daß einige Fremdwörter in der deutschen Sprache unentbehrlich sind und sie "für viele vielleicht noch mehr einer Erklärung" 16 bedürfen. Zu den in der zweiten Auflage hinzugefügten zählen u.a.:

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Bibliothekar, Bigamie, Biscuit, Bister, Blessiren, Declamiren, Declination, Decoct, Decret, Deduc­tion, Defect, Defension, Defensiv, Defilé. 17

In der Aufnahme von Fremdwörtern überhaupt und den Hin­weisen auf ihre eventuell besseren deutschen Äquivalen­te drückt sich die Orientierung am Sprachgebrauch sowie das normative Anliegen des Lexikographen aus. Das Kunstwort definiert Adelung in dem entsprechenden Wörterbuchartikel als

"ein Wort, einen einer Wissenschaft, Kunst oder Beschäftigung eigenen Begriff auf eine kurze und den Kunstgenossen verständliche Art auszudrücken. Terminus Technicus." 18

Die heutige sprachwissenschaftliche Terminologie spricht von dem Fachwort bzw. den Fachsprachen. In der Vorrede zu dem "Versuch eines grammatisch- kritischen Wörterbuches" äußert er sich bezügl. der Aufnahme des Fachwortschatzes :

"Besonders habe ich mir angelegen seyn lassen, die Kunstwörter aus allen Lebensarten, Künsten und Wissenschaften zu sammeln, weil viele derselben selbst eingebghrnen Deutschen unverständlich und fremd sind." 19

Wie seine Vorgänger Steinbach und Frisch kodifiziert Adelung Fachwortschatz. Explizit subsumiert er unter

die Kunstwörter auch "die Namen aller besonderen Gebrauche, Rechte, obrigkeitlichen Aemter u.s.f." 20

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4.4. Notizen zur lexikographischen Praxis

In diesem Kapitel widme ich mich der grammatischen etymologischen sowie der semantischen Deskription.

4.4.1. Grammatische Deskription und Etymologie

Die grammatische Deskription wird bereits im Stichwort­ansatz deutlich. Adelung kodifiziert nicht Lexeme, sondern Flekteme.

"Das Haus, des -es-.plur. die Häuser, Diminut. das Häuschen [. . .]" 21

Stellvertretend für das gesamte Flektemparadigma steht bei den Substantiven der Nominativ Singular und Plural

sowie der Genitiv Singular 22. Zu der Kodifikation der Verben ist anzumerken, daß der Lexikograph seiner eige­nen in dem "Umständlichen Lehrgebäude" entworfenen Klassifikation folgt. 23 Neben der Wortartennennung erfolgen Hinweise zur Aussprache 24; die "Verbindung mit

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Andern" 25 kann aus den Beispielen und Belegen, welche die semantische Explikation stützen, geschlossen wer­den.

Die orthographischen Prämissen sind dem "Magazin für die deutsche Sprache", 1.Stück zu entnehmen:

"schreib, wie du sprichst, 1. der allgemeinen Be­sten Hochdeutschen Aussprache gemäß, und wo diese nicht entscheidend ist, 2. in gebogenen und abge­leiteten Wörtern nach der nächsten Abstammung, 3. in Stammwörtern nach dem allgemeinen Ge­brauche." 26

Im "Grammatisch-kritischen Wörterbuch" bestimmen somit Aussprache, Etymologie und Sprachgebrauch die Orthographie; einen maßgeblichen Einfluß der Schriftsteller negiert der Lexikograph.

Was versteht Adelung unter "Etymologie"? "Die Etymologie ist die Wissenschaft des Ursprunges und der Bildung der Wörter." 27 Der Sprachwissenschaftler differenziert zwischen der "näheren" Etymologie, die sich "mit dem Ursprunge und der Bildung der zusammengesetzten und abgeleiteten Wörter" 28, der Wortbildung gleichsam, be­schäftigt, und der "entfernteren" Etymologie, welche sich mit den "Wurzelwörtern" in ihrer historischen Entwicklung befaßt. Während erstgenannte die Orthographie prägt 29, kann mit Hilfe der "entfernteren Etymologie" die Bedeutung eines Wortes erschlossen werden.

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Die etymologische Deskription befindet sich in der Anmerkung, "Anm." am Ende eines Wörterbuchartikels und beherbergt die Spannbreite dessen, was Adelung-in punc­ to entferntere Etymologie postuliert, nämlich 1. die Auseinandersetzung mit anderen Forschern, 2. den Ver­ gleich mit den entsprechenden sprachlichen Zeichen anderer Sprachen bzw. anderer, nicht hochdeutschen Mund­ arten sowie 3. Verweise auf das erste Auftreten eines Wortes in den Quellen. Die Stärke dieses Wörterbuches liegt nicht in den etymologischen Angaben, was in Anbetracht des damaligen Forschungsstandes jedoch nicht verwundern darf.

4.4.2. Die semantische Deskription

Anknüpfend an meine Ausführungen zu "kritisch" wende ich mich nun der semantischen Deskription in Adelungs Wörterbüchern zu. Es erweist sich jedoch als notwendig, zuvor die Termini 'Begriff' und 'Bedeutung' sowie ihre Relation zueinander zu klären. Adelung differenziert zwischen "Empfindung", "Vorstellung" und "Begriff". Erstes spiegelt das bewußte Wahrnehmen einer außersprachlichen Realität und drückt sich sprachlich in Interjektionen aus. Dem darauffolgenden "Grad der Klarheit", der "Vorstellung" entspricht das Wort, und zwar das "nackte" oder "angekleidete Wurzelwort" sowie das "abgeleitete" und "zusammengesetzte" Wort. Ist eine Einsicht "in die Art und Weise der Empfindung und ihrer Ursache" möglich, entstehe ein Begriff, der mehrere

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Wörter umfasse, was als Ausdruck zu bezeichnen sei. 30 Adelung überträgt diese Dreiteilung auf die Sprachentwicklung: Je primitiver ein Volk ist, desto reichhaltiger ist seine Sprache an Empfindungswörtern und desto ärmer an Begriffen. 31 Dementsprechend zeichnet sich eine hochentwickelte Sprache durch eine Vielzahl an Begriffen aus. Die Verbindung zwischen den Wörtern und den Vorstellungen sei "conventionell" bzw. "gesellschaftlich" 32 bestimmt und die Verbindung zwischen der Vorstellung und den Begriffen mit den Worten oder Zeichen mache ihre Bedeutung aus. 33 Bezüglich der Anordnung der Bedeutung bemerkt Adelung:

"Die meisten Wörterbücher begnügen sich, ein Wort und dessen Bedeutungen entweder durch ein fremdes, oder nur ungefähr durch andere für gleich bedeutend gehaltene Ausdrücke zu erklären. Dies schien mir nicht genug, und ich legte mir gleich Anfangs die Pflicht auf, den Begriff eines jeden Wortes und einer jeden Bedeutung desselben auf das genaueste zu bestimmen". 34

Während sich Adelungs Vorgänger i.a. bei der semantischen Deskription auf lateinische Interpretamente und der Angabe von deutschen Synonyma beschränkt haben und Gottsched mit seinem "deutschen grammatischen Wörterbuch" beabsichtigt hat, einen "Wegweiser" zum richtigen Reden und Schreiben zu liefern 35, läßt dieses Zitat

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die weitergehende Absicht erkennen, ein Bedeutungswörterbuch zu verfassen. Im folgenden beschäftige ich mich mit der Methode und der theoretischen Fundierung.
Der Begriff und die Bedeutung eines Wortes, so Adelung, muß aus der Etymologie und dem Sprachgebrauch hergeleitet werden. 36 Die Erwähnung des Sprachgebrauchs weist auf eine synchronische Argumentation, die sich im Einklang mit der Theorie der hochdeutschen Mundart be findet, die Erwähnung der Etymologie auf eine diachronische. Das sog. Wurzelwort wird in seiner historischen Entwicklung auf der Basis der existenten schriftlichen Quellen bis zu seinem etwaigen Ursprung zurückverfolgt und mit den entsprechenden Zeichen anderer Sprachen verglichen. Die erneute Rückkehr zu dem gegenwarts­ sprachlichen Begriff liefere "die ganze Leiter der Bedeutungen", 37 die Bedeutungsgeschichte eines Begriffes. Adelung differenziert dabei zwischen der "eigentlichen", den sinnlichen Begriff erfassenden Bedeutung und der "figürlichen", auch der "übergetragenen" genannt. 38

"Die Bedeutungen [...] sind der Sache gemäß geordnet, das ist, wie sie vermuthlich aus und auf einander gefolget sind." 39

In den Wörterbuchartikeln rangiert entsprechend den oben geschilderten Prämissen zur Sprachentwicklung die eigentliche vor der figürlichen Bedeutung. Adelung

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räumt jedoch ein, daß dieses Anordnungsprinzip nicht stringent durchgehalten werden kann, weil u.a. die erste Bedeutung nicht eruierbar ist oder einzelne "Sprossen", welche die einzelnen Schritte des Bedeutungswandels darstellen, fehlen. Wenn in solchen Fällen dennoch eine "muthmaßliche Ordnung" erfolgt, so basiert sie auf dem "Studium der vorhandenen Schriften" und auf Analogieschlüssen. 40

"Die Halsstarre,[...] 1) Eigentlich , die Starre, d.i. Unbiegsamkeit des Halses [...] 2) * Figürlich , in einem hohen Grade hartnäckig [...]." 41

Die sprachhistorische Entwicklung mit ihrer Dichotomie eigentlich/figürlich bestimmt nur im Groben die Bedeutungsanordnung. In seinem Bemühen, die "Schattierungen in den Bedeutungen" 42 , die Polysemie darzustellen, greift Adelung, um die feineren Differenzierungen zu markieren, zu den beiden Adjektiven "eng" und "weit" sowie derer Komparative und Superlative. In "Über den deutschen Styl" formuliert er folgende Regel:

"Je weiter die Bedeutung eines Geistes ist, desto weniger Merkmale enthält sie." 43

Helmut Henne weist in diesem Zusammenhang auf die These der Reziprozität von Inhalt und Umfang eines Begriffes hin, wie sie in der Logik bekannt ist, und resümiert:

"'eng' und 'weit' beziehen sich also auf die Extension der Bedeutung des Wortes, die sich

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reziprok zur Intension verhält." 44

Die Details der Bedeutungsanordnung können hier nicht weiter erörtert werden. In der Praxis zeigt sich, daß die

"durch Ziffern und ggf. Buchstaben vorgenommene Gliederung die eigentlichen Fixpunkte der Deskription sind, die - sofern das terminolgische Gerüst nicht zureichend ist - die Polysemien eines Lemmas anzeigen und übersichtlich gliedern." 45

Da in Kapitel 6 verschiedene Wörterbuchartikel zitiert werden, verzichte ich an dieser Stelle auf ein erläuterndes Beispiel und nenne die auftretenden Formen der semantischen Paraphrase. An zentraler Stelle steht die "semantische Explikation", die in ihrer Form an die Definitionslehre der traditionellen Logik erinnert: definitio fit per genus proximum et differentiam specificam. 46

"Die Ehefrau [...], eine Person weiblichen Geschlechts, welche mit einem Manne im Ehestande lebt". 47
"Die Concubine [...], eine Person weiblichen Geschlechtes, mit welcher man ehelich lebet, ohne nach den Gebräuchen der Kirche mit demselben verbunden zu seyn." 48

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"Eine Person weiblichen Geschlechtes" bezeichnet den nächst höheren Begriff, der "Ehestand" bzw. das NichtVorhandensein des kirchlichen Segens das zusätzliche differenzierende Merkmal. Als weitere Möglichkeit der Bedeutungserklärung stehen dem Lexikographen Synonyme und Antonyme zur Verfügung, welche die semantische Deskription nicht konstituieren, sondern nur ergänzen. Ein Beispiel für die Verwendung von Synonyma:

"Das Kleid [...], alles was einen andern Körper zu seiner Erhaltung oder Zierde bedecket, die Bekleidung". 49

Ein Beispiel für die Verwendung von Antonyma:

"Klein [...], ein geringeres Maß an Ausdehnung habend als ein anderer Körper; im Gegensatze zu groß". 50

Joachim Dückert betont, daß das Nennen der Synonyme und Antonyme auch "der Verzahnung des lexikalischen Bestandes" dient. 51 Für mein Thema von besonderem Interesse sind die sachkundlichen 52 oder enzyklopädischen Angaben, auf die ich im sechsten Kapitel noch näher eingehen werde, so dass an dieser Stelle ein Beispiel genügt.

"Die Dampf=Maschine, [...]. Der Engländer Thom. Savary soll diese Maschine um 1649 erfunden, oder doch zuerst ausgeführt haben." 53

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Ebenfalls Bestandteil der semantischen Explikation sind die "Beyspiele", die die Gebrauchsweise eines Wortes veranschaulichen sollen und ihrer Form nach einerseits zu den Belegen und andererseits zu den Beispielen im engeren Sinne zu zählen sind. Die Belege hat Adelung den "neuesten und beliebtesten Schriftstellern" 54 entnommen. Die Beispiele werden in der Regel erläutert und zeigen die syntagmatische Einbettung eines Wortes an.
Die Ausführungen zur Stichwortauswahl sowie zu den Hauptbestandteilen des Wörterbuchartikels bei Adelung - grammatische, semantische, etymologische Deskription - stützen die These, daß Adelungs Wörterbücher der Klasse der Sprachwörterbücher zuzuordnen sind. Zwar dürfen die enzyklopädischen Angaben nicht unterschlagen werden, sie fallen jedoch aufgrund ihres geringen Umfanges nicht ins Gewicht.

4.5. Differenzen zwischen der ersten und zweiten Auflage der Wörterbücher

Nach Abschluß der ersten Auflage des Wörterbuchs widmete sich Adelung weiteren sprachwissenschaftlichen Themen, beschäftigte sich weiterhin mit dem englischen Sprachwörterbuch von Samuel Johnson (vgl. Einleitung, Anmerkung 1) und überarbeitete schon bald sein deutsch­ sprachiges Wörterbuch. Schließlich publiziert er die

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zweite Auflage "vermehrt" und "verbessert". Helmut Henne hat dargelegt, welche Bereiche diese Veränderungen betreffen. 55 Im Hinblick auf das 6.Kapitel, in dem der mögliche Einfluß der Sachlexikographie auf die Oberarbeitung untersucht wird, sind hier die zusätzlich aufgenommenen Stichwörter und die Modifikationen in der semantischen Explikation von besonderem Interesse, wobei ich letztgenannte hier vernachlässigen möchte. Die Neuaufnahmen umfassen alle Wortarten und alle Varietäten, explizit genannt seien die Fremdwörter, Kunstwörter (vgl. Kapitel 4.3.) und die Namen. Die Komposita überwiegen bei weitem. Exemplarisch zitiere ich die hinzugefügten Lemmata der Spalten 1240-1260 des 1. Bandes:

Der Büchsenräumer, Das Büchsenrohr, Die Büchsenschicht, Die Buchstabenschrift, Der Buckelmeißel, Buckeln, Das Bugband, Die Buhlschwester, Die Bulge, Der Bültrocken, Die Bundart, Der Bunzenzins.

Diese zwölf Begriffe können nicht eindeutig einer Varietät des Deutschen zugeordnet werden. So zeigen die semantischen Explikationen, daß 1. allgemeinsprachlicher Wortschatz (Buhlschwester, Buckeln, Bültrocken), 2. Fachwörter unterschiedlicher Berufszweige, z.B. der Klempnerei (Buckelmeißel) und Zimmerei (Bundart) hingefügt worden sind.

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4.6. Exkurs: Adelung als Verfasser einer Enzyklopädie

Johann Christoph Adelung ist heute insbesondere wegen seiner hier vorgestellten Wörterbücher, der erwähnten Grammatik und der Stilistik bekannt. Daß sich unter seinen Publikationen neben den zahlreichen Obersetzun gen auch Abhandlungen zu nicht sprachwissenschaftlichen Themen befinden, die häufig anonym erschienen sind, kann u.a. der Bibliographie in der Dissertation Sickels entnommen werden. Des öfteren wird in der Literatur zu dem Begriff 'Enzyklopädie' und in den sich daran an schließenden Auflistungen jener Werke unter den syste matischen Enzyklopädien auch auf Adelung verwiesen, und zwar auf dessen "Kurze(n) Begriff menschlicher Fähigkeiten und Kenntnisse, sofern sie auf Erwerbung des Unterhalts, auf Vergnügen, auf Wissenschaft und auf Regierung der Gesellschaft abzielen. Für Realschulen und das bürgerliche Leben", 4 Theile, Leipzig 1778-1781. 56 In der Systematik knüpft Adelung an J.G.Sulzer an, den ich im 2. Kapitel erwähnt habe. Hinweisen möchte ich darüberhinaus auf zwei weitere einbändige Publikationen. Der "Versuch einer Geschichte der Cultur des menschlichen Geschlechts. Von dem Verfasser des Begriffs menschlicher Fertigkeiten und Kenntnisse", Leipzig 1782, scheint dessen Auszug zu sein. Die bereits 1771 in Leipzig und Frankfurt publizierte "Unterweisung in den vornehmsten Künsten und Wissenschaften" - eine

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Enzyklopädie "zum Gebrauche der Jugend" 57 - muß ebenfalls den systematischen Enzyklopädien zugerechnet werden. Adelung versucht darin, die Wissenschaften entsprechend seiner gewählten Ordnung vorzustellen.

"Indessen glaube ich doch, daß man in den meisten Fällen mit der Naturgeschichte, der Naturlehre, und der damit verwandten Cosmographie den Anfang machen und sodann zu den Lehren der Religion und den übrigen Wissenschaften fortgehen könne. Was ist wohl natürlicher, als von den sichtbaren Dingen, die uns täglich vor Augen sind, zu den unsichtbaren fortzugehen, und von den Geschöpfen auf der Leiter der Wesen bis zu dem Unerschaffenen hinaufzusteigen, und dann die mancherley Verhältnisse zu betrachten, in welche wir uns gegen das höchste Wesen und nach ihm auch gegen unsern Nebenmenschen befinden?" 58

Folglich handelt das erste Kapitel "Von der Naturgeschichte", das 52., letzte Kapitel "Von der Schiffahrt. Die Ausführungen sind knapp gehalten; Adelung formuliert Fragen, die er selbst beantwortet.

"Was verstehen wir unter dem Worte Kunst? Eine Erkenntniß, welche uns sichere Regeln vorschreibt, eine Sache zu verfertigen. Wie theilet man die Künste ein? In freye schöne Künste, und in mechanische Künste." 59

Der Exkurs in Adelungs nicht-sprachwissenschaftliche Wirken bestätigt das Urteil Hermann Pauls, der Adelung als einen Polyhistor bezeichnet hat. 60

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