fussnoten
zur Home-page der Oekonomischen Enzyclopaedie

Seite 19 | 20

 

3. Die Berücksichtigung der Sachlexikographie in der Sprachlexikographie bis Adelung

Nachdem die Tradition der Sachlexikographie in Ausschnitten präsentiert wurde, gilt es nun der Frage nachzugehen, in welchem Umfang die Sachlexikographie die deutsche Sprachlexikographie bis Adelung berücksichtigt hat. Das kann nur für die Wörterbücher intensiver untersucht werden, die parallel zu sachlich orientierten Nachschlagewerken erschienen sind und deren Stichwortauswahl sich nicht auf den allgemeinsprachlichen Wortschatz beschränkt. Wie ich im 2.Kapitel gezeigt habe, setzt die Publikation von Nachschlagewerken, die über den allgemeinsprachlichen Wortschatz hinausragen, in Deutschland erst zu Beginn des 18. Jahrhunderts ein. Die Wörterbücher von Kaspar Stieler (1691) und Matthias Kramer (1700/02) scheiden deshalb aus der Betrachtung aus. In ihren Vorreden bedauern beide - die kleine Abschweifung sei gestattet -, nicht den vollständigen Wortschatz aufnehmen zu können. So konstatiert Stieler den Mangel an einer großen "Anzahl der Schiffart= Berg= Salz= und Handwerks= Jägerey= Tier= Kreuter= Bau= Kriegs= Befestigungs= Meß= Wapen= und Zergliederungs= Scheide und viele andern Künste" 1 Wörtern. Matthias Kramer, der ebenfalls in seiner Vorrede die Termini technici ausklammert, kodifiziert dennoch Fachwortschatz, nämlich den für die gegenseiti-

Seite 20 | 21

ge Verständigung zwischen Italien und Deutschland notwendigen. 2
Christoph Ernst Steinbach, dessen "Vollständiges Deutsches Wörter-Buch" erstmals 1725 und in einer stark vermehrten zweiten Auflage 1734 erschienen ist, ist wahrscheinlich der erste Lexikograph gewesen, der in der Ausarbeitung eines Sprachwörterbuchs auf Sachlexikographie zurückgegriffen hat. In der Vorrede zur Publikation von 1734 nennt er seine Methode der Überarbeitung:

"das erste, so ich vornahm, war, daß ich den Innhalt der Deutschen Wörter aus Fabri Lexico von Worte zu Worte durchging und in mein Werck ein trug, [...] als ich aber mit dem Fabri zu Ende war, ging ich auch das Zeitungs=Lexicon durch und zog das, was zu meinem Zwecke gehörte, heraus". 3

Interessant ist in diesem Zusammenhang die Dissertation von Walther Schroeter. Schroeter, der u.a. die Quellen Steinbachs untersucht hat, vertritt die Auffassung, daß Steinbach in der ersten Ausgabe in den Artikeln "Bandit", "Banner(-herr)" und "Böhme", in welchen jeweils ein Verweis auf das "Zeitungs=Lexicon" und eine Seitenangabe zu finden ist, auf Christian Weises "Curieuse Gedanken von Nouvellen und Zeitungen" zurückgreift. 4 Diesen Titel nennt Steinbach lt. Schroeter 5 in der

Seite 21 | 22

Vorrede zur Erstauflage. Ob der Lexikograph auch in der Überarbeitung auf das bereits zu Beginn des 18. Jahrhunderts erschienene Lexikon Weises zurückgreift oder ob er eine der zahlreichen Auflagen des Hübner, des "Reale(n) Staats= und Zeitungs=Lexicon(s)" 6 benutzt hat, kann nur über Beispielartikel entschieden werden. Wenngleich das von Hübner herausgegebene Lexikon mir nicht in jeder Auflage vorgelegen hat, läßt sich dennoch ein Trend ablesen. Steinbach kodifiziert:

"Böhmisch (adj.) bohemicus. Das sind ihm Böhmische Dorffer, haec ei portentosa videntur, rationem hujus proverbii vide im Zeitungs=Lexico p. 271 7.

In der 13.Auflage, wie auch bereits in der 11. Auflage, des "Realen Staats= Zeitungs= und Conversations-Lexicons" befinden sich auf Seite 269 (11. Auflage Seite 267) im Anschluß an den Artikel "Böhmen" die Ausführungen zu "Böhmische Dorffer".

"Böhmische Dörffer, res portentosa, ist ein bekanntes Sprüchwort, und kömmt daher, weil die Böhmischen Dörffer in der Böhmischen Sprache so ungewöhnliche Namen haben, so die Deutschen nicht wohl aussprechen konnten, und nicht verstehen, wenn sie dieselben hören, dahero sagt man von einem einfältigen Menschen, der nicht viel von andern Ländern gesehen oder gehöret; das sind ihm Böhmische oder Spanische Dörffer." 8

Wenngleich die angegebene Seitenzahl nur annähernd übereinstimmt, und die semantische Paraphrase im Hübner die Steinbachs bei weitem übertrifft, kann aufgrund der inhaltlichen Kongruenz, insbesondere des lateinischen

Seite 22 | 23

Synonyms eine Abhängigkeit des "Vollständigen Deutschen Wörterbuchs" vom "Reale(n) Staats= Zeitungs= und Conversations-Lexicon" vermutet werden.
Als direkter Vorläufer Adelungs kann Johann Leonhard Frisch mit seinem "Teutsch-Lateinischen Wörter-Buch" angesehen werden. Dieses beinhaltet explizit

"auch die bey den meisten Künsten und Handwerken, bey Berg= und Saltzwerken, Fischereyen, Jagd= Forst= und Hauß=Wesen, u.a.m. gewöhnliche Teutsche Benennungen". 9

Planmäßig exzerpierte Frisch jahrelang.für alle Buchstaben des Alphabets 10 zahlreiche Quellen, die Powitz in seiner Monographie aufgelistet hat. 11 Darunter befindet sich unter der Nummer 1029 bei Powitz Johann Heinrich Zedlers "Großes Vollständiges Lexicon aller Wissenschaften und Künste" und unter der Nummer 1030 Adrian Beiers Allgemeines Handlungs- Kunst-, Berg- und Handwercks-Lexicon. 12 Folgende Beispiele gestatten einen Einblick in Frischs Praxis.

"Chur=Brief. Bayer im Handlungs= und Handwerks=Lexico der Schuster in der Grafschafft Nassau= Siegen Innungs=Brief." 13
"Gorl, Gorl-Spitzen nennet man, wo die Blumen an statt des Spitzen-Bandes mit runden gedrehten Gorl umleget, und von innen mit allerhand Spitzen=Stichen ausgefüllet worden. Zedlers Lexic." 14

Seite 23 | 24

Daß J. L. Frisch in den gewählten Beispielen keine lateinischen Interpretamente anführt, ist Zufall, kann nicht als Charakteristikum der fachsprachlichen Kodifikation angesehen werden. Von Interesse für meine Themenstellung ist die Gegenüberstellung der Beispielartikel mit ihrem Original. Der Artikel "Gorl=Spitzen" lautet im Zedler:

"Gorl=Spitzen, nennet man, wo die Blumen an stat des Spitzen=Bandes mit runden gedreheten Gorl umleget, und von innen mit allerhand Spitzen=Stichen ausgefüllet werden." 15

Die abgesehen von der kleinen orthographischen Abweichung (stat-statt) vollständige Übereinstimmung der Artikel erlaubt die Vermutung, daß bei Frisch das Erscheinen einer Literaturangabe am Ende des Textes die Ausführungen als Zitat kennzeichnen. Powitz äußert sich zu diesem Umstand nicht. Festzuhalten ist, daß Steinbach und Frisch in unterschiedlichem Umfang Sachlexikographie in ihre Wörterbücher eingearbeitet haben, und zwar nicht versteckt, sondern offen bis zur genauen Angabe der Seitenzahl.